Frühling in Brno
Lange habe ich darauf gewartet. Auf die ersten sprießenden Knospen, die zwitschernden Vögel am Morgen und die unvergleichbare Brise des Frühlings. Im Glanz der warmen Frühlingsonne sieht so manches tristes Gebäude, das dringend restauriert werden sollte, nicht mehr ganz so trostlos aus. Die Brünner drängt es hinaus auf die Straßen, in die Parks und auf die Bänke der großen Plätze. Besonders schön und befreiend sind die ersten warmen Tage für meine Panis (tschechisch: Damen), die ich montags immer besuche. Kein Eis, kein Schnee, kein schwerer Wintermantel mehr. Der Winter hat sie viel Kraft gekostet und für einige war es nur sehr selten möglich, nach draußen zu gehen, frische Luft zu schnappen oder sogar eine kleine Runde um den Block zu spazieren.
Daher bin ich gut gelaunt als ich am Montagnachmittag zu Pani M. ins Altersheim fahre. Sie ist im Januar 86 geworden. Letztes Jahr hatte sie eine Operation an ihrem Knie und in den letzten Monaten hat sie mühsam wieder das Gehen trainiert. Als ich im September ankam, war es schon eine große Herausforderung für sie, nur vom Bett zum nächstgelegenen Sessel wechseln. Inzwischen ist sie dank eines Wägelchens mit drei Rädern wieder relativ mobil und kann eigenständig für ein Sonnenbad auf den Balkon gehen. Aber für einen Spaziergang durch das Wohnviertel reicht es leider noch nicht. Deshalb hole ich nun bei jedem Besuch einen Rollstuhl und wir drehen gemeinsam eine ausgiebige Runde. Unglaublich, wie schmal Bürgersteige sein können und wie wenig abgeflachte Randsteine es gibt. Momentan arbeite ich noch an meiner Schiebetechnik. Es ist gar nicht so einfach, den Rollstuhl mit viel Power, aber möglichst sanft, eine Rampe hinaufzustoßen. Dazu noch meine Pani, die dem Rollstuhl und mir einiges mehr zutraut als es dank den Gesetzen der Schwerkraft möglich ist. Aber dazu später mehr.
Wenn ich zu ihr in das Zimmer komme, bleiben uns genau 60 Minuten zum An- und Ausziehen, Spazierenfahren inklusive kurzem Shopping in dem kleinen nahegelegenen Lebensmittelgeschäft (gibt es in Tschechien in jeder Straße) und dem abschließenden Kaffeetrinken im Aufenthaltsraum des Altersheims. Danach besuche ich eine zweite Pani, die Punkt 15 Uhr im obersten Stockwerk auf mich wartet. Fünf Minuten später und die geplante Reise zum Arzt oder zur Post ist nicht mehr im Zeitplan und muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Pani O. benötigt Hilfe beim Einsteigen in die Straßenbahnen mit den hohen Stufen und ist daher auf die Begleitung von uns Freiwilligen angewiesen. Da sie phasenweise unter Depressionen leidet, sind die Besuch bei ihr sehr unterschiedlich. Denn eigentlich ist sie eine sehr nette Person und so kam ich auch mal 10 Minuten zu spät und es war kein Problem. Aber da ich vorher nie weiß, was Pani O. heute für einen Tag hat, beeile ich mich grundsätzlich bei meiner ersten Etappe.
Wenn Pani M. ausgerüstet ist mit Jacke, Schuhen und Sonnenbrille und ihre Frisur sitzt, machen wir uns auf den Weg. Ich schiebe den Rollstuhl die Straße entlang. Es ist ein wunderschöner Tag, die Sonne scheint, kein Wind weht. Pani M. genießt die Tour sichtlich. Wir steuern natürlich als erstes den wichtigsten Stop unseres Ausfluges an: die Potraviny (kleines Lebensmittelgeschäft). Die Inhaber kennen uns, mindestens die Hälfte ihrer Kunden sind vermutlich Bewohner des Altersheimes. In der Vitrine suchen wir uns unseren Nachmittagssnack aus: Pani M. wählt ein typisches, sehr süßes tschechisches, mit Sahne gefülltes Gebäck, ich nehme ein Brötchen, das mit sämtlichen Sorten an Käse und Wurst belegt ist. Danach drehen wir inklusive Rollstuhl eine kleine Runde durch den Laden und meine Pani begutachtet ausgiebig die Waren. Ich versuche, sie überall hinzufahren, aber das ist unmöglich, weil der Laden natürlich nicht für Rollstuhlfahrer ausgerichtet ist. Schließlich entscheidet sie sich für einen Apfel und eine Birne und wir können zahlen. Für mich ist es immer ein bisschen unbegreiflich wie wichtig dieser Einkauf für meine Pani ist. Aber vielleicht hat diese Frau in ihrem Leben zu lange Zeiten des Mangels erfahren. Sie lebte als junges Mädchen für drei Jahre im Ghetto Theresienstadt. Außerdem ist es mit uns Freiwilligen für sie die einzige Möglichkeit, selbstständig einkaufen zu gehen und die Produkte selbst auszuwählen.
Der Ladenbesitzer hält uns die Tür auf und wir setzen unseren Spaziergang fort. Ich suche Abwechslung und so testen wir heute eine neue Route. Sie ist etwas idyllischer und führt ein kleines Stück am Fluss entlang. Wir kehren über einen kleinen Weg zurück zur großen Straße. Doch da kommt schon das erste Problem: Der Randstein ist nicht abgeflacht, aber wir müssten wieder 200m zurück um das Hindernis zu umgehen. Pani M. ist überzeugt, dass das kein wirkliches Hindernis ist und ich es mit ihrer Hilfe problemlos schaffe. Während ich noch überlege, zieht sie bereits nach vorne (sie kann ja noch ein bisschen gehen) und schon hängt der Rollstuhl mitsamt meiner Pani halb über der Straße. Nun gibt es kein Zurück, aber leider auch kein Vorwärts mehr. Ich sehe schon meine Pani auf der Straße liegen, mit gebrochenen Gelenken und mich wie ich versuche, dem Pflegedienst der Jüdischen Gemeinde die Situation zu erklären. Aber ich bin ja zum Glück in Tschechien und so kommt just in diesem Augenblick ein freundlicher Radfahrer vorbei, sieht unsere vertrackte Situation und fragt sofort, ob wir Hilfe brauchen. JA! Zwei Handgriffe später ist alles vorbei, der Rollstuhl steht unten auf der Straße und meine Pani ist wohlauf. Erleichtert bedanke ich mich und wir setzen unsere Spazierfahrt fort.
Es ist bereits nach halb drei und so treten wir den Rückweg an. Wir überqueren die Straße, der Gehweg auf der anderen Straßenseite ist zum Glück abgeflacht. Aber leider ist es immer noch ziemlich steil. Mit all meiner Power stemme ich mich gegen den Rollstuhl und versuche ihn den gefühlten Hügel hinaufzuschieben. Zweimal, dann gebe ich auf. Ich drehe den Rollstuhl und will eine andere Stelle ansteuern. Da hält ein Auto direkt vor uns an. Ich warte, weil ich nicht weiß, wo das Auto nun hinfahren wird. Ein Mann steigt aus, kommt auf uns zu, nimmt den Rollstuhl und schiebt ihn mit einer Leichtigkeit für mich auf den Gehsteig. Immer noch mit offenem Mund, bedanke ich mich. Der Mann steigt wieder ins Auto und fährt weiter.
Ohne weitere Komplikationen kehren wir zurück ins Altersheim. Zu sehr aromatischen Kaffeeautomaten-Instant-Kaffee verspeisen wir nun unsere Einkäufe. Jetzt können wir uns auch endlich unterhalten, denn ich verstehe Pani M. nur sehr schlecht, wenn sie vor mir im Rollstuhl sitzt. Wenn ich Ausflüge an vorherigen Wochenenden gemacht habe, bringe ich immer meine Digitalkamera mit und zeige ihr, wo ich war und was ich gemacht habe. Sie spricht zwar ein bisschen Deutsch, aber es reicht nicht für Unterhaltungen. Ich wiederum verstehe ihr Tschechisch nur sehr schlecht (mir wurde zum Glück inzwischen bestätigt, dass ich da nicht die einzige bin) und so ist unsere Kommunikation etwas schwierig. Jedoch habe ich das Gefühl, dass sie dank der Fotos meinen Erzählungen folgen kann.
Ich schaue auf die Uhr: es ist bereits drei. Schnell verabschiede ich mich und steuere die Treppe an.
Daher bin ich gut gelaunt als ich am Montagnachmittag zu Pani M. ins Altersheim fahre. Sie ist im Januar 86 geworden. Letztes Jahr hatte sie eine Operation an ihrem Knie und in den letzten Monaten hat sie mühsam wieder das Gehen trainiert. Als ich im September ankam, war es schon eine große Herausforderung für sie, nur vom Bett zum nächstgelegenen Sessel wechseln. Inzwischen ist sie dank eines Wägelchens mit drei Rädern wieder relativ mobil und kann eigenständig für ein Sonnenbad auf den Balkon gehen. Aber für einen Spaziergang durch das Wohnviertel reicht es leider noch nicht. Deshalb hole ich nun bei jedem Besuch einen Rollstuhl und wir drehen gemeinsam eine ausgiebige Runde. Unglaublich, wie schmal Bürgersteige sein können und wie wenig abgeflachte Randsteine es gibt. Momentan arbeite ich noch an meiner Schiebetechnik. Es ist gar nicht so einfach, den Rollstuhl mit viel Power, aber möglichst sanft, eine Rampe hinaufzustoßen. Dazu noch meine Pani, die dem Rollstuhl und mir einiges mehr zutraut als es dank den Gesetzen der Schwerkraft möglich ist. Aber dazu später mehr.
Wenn ich zu ihr in das Zimmer komme, bleiben uns genau 60 Minuten zum An- und Ausziehen, Spazierenfahren inklusive kurzem Shopping in dem kleinen nahegelegenen Lebensmittelgeschäft (gibt es in Tschechien in jeder Straße) und dem abschließenden Kaffeetrinken im Aufenthaltsraum des Altersheims. Danach besuche ich eine zweite Pani, die Punkt 15 Uhr im obersten Stockwerk auf mich wartet. Fünf Minuten später und die geplante Reise zum Arzt oder zur Post ist nicht mehr im Zeitplan und muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Pani O. benötigt Hilfe beim Einsteigen in die Straßenbahnen mit den hohen Stufen und ist daher auf die Begleitung von uns Freiwilligen angewiesen. Da sie phasenweise unter Depressionen leidet, sind die Besuch bei ihr sehr unterschiedlich. Denn eigentlich ist sie eine sehr nette Person und so kam ich auch mal 10 Minuten zu spät und es war kein Problem. Aber da ich vorher nie weiß, was Pani O. heute für einen Tag hat, beeile ich mich grundsätzlich bei meiner ersten Etappe.
Wenn Pani M. ausgerüstet ist mit Jacke, Schuhen und Sonnenbrille und ihre Frisur sitzt, machen wir uns auf den Weg. Ich schiebe den Rollstuhl die Straße entlang. Es ist ein wunderschöner Tag, die Sonne scheint, kein Wind weht. Pani M. genießt die Tour sichtlich. Wir steuern natürlich als erstes den wichtigsten Stop unseres Ausfluges an: die Potraviny (kleines Lebensmittelgeschäft). Die Inhaber kennen uns, mindestens die Hälfte ihrer Kunden sind vermutlich Bewohner des Altersheimes. In der Vitrine suchen wir uns unseren Nachmittagssnack aus: Pani M. wählt ein typisches, sehr süßes tschechisches, mit Sahne gefülltes Gebäck, ich nehme ein Brötchen, das mit sämtlichen Sorten an Käse und Wurst belegt ist. Danach drehen wir inklusive Rollstuhl eine kleine Runde durch den Laden und meine Pani begutachtet ausgiebig die Waren. Ich versuche, sie überall hinzufahren, aber das ist unmöglich, weil der Laden natürlich nicht für Rollstuhlfahrer ausgerichtet ist. Schließlich entscheidet sie sich für einen Apfel und eine Birne und wir können zahlen. Für mich ist es immer ein bisschen unbegreiflich wie wichtig dieser Einkauf für meine Pani ist. Aber vielleicht hat diese Frau in ihrem Leben zu lange Zeiten des Mangels erfahren. Sie lebte als junges Mädchen für drei Jahre im Ghetto Theresienstadt. Außerdem ist es mit uns Freiwilligen für sie die einzige Möglichkeit, selbstständig einkaufen zu gehen und die Produkte selbst auszuwählen.
Der Ladenbesitzer hält uns die Tür auf und wir setzen unseren Spaziergang fort. Ich suche Abwechslung und so testen wir heute eine neue Route. Sie ist etwas idyllischer und führt ein kleines Stück am Fluss entlang. Wir kehren über einen kleinen Weg zurück zur großen Straße. Doch da kommt schon das erste Problem: Der Randstein ist nicht abgeflacht, aber wir müssten wieder 200m zurück um das Hindernis zu umgehen. Pani M. ist überzeugt, dass das kein wirkliches Hindernis ist und ich es mit ihrer Hilfe problemlos schaffe. Während ich noch überlege, zieht sie bereits nach vorne (sie kann ja noch ein bisschen gehen) und schon hängt der Rollstuhl mitsamt meiner Pani halb über der Straße. Nun gibt es kein Zurück, aber leider auch kein Vorwärts mehr. Ich sehe schon meine Pani auf der Straße liegen, mit gebrochenen Gelenken und mich wie ich versuche, dem Pflegedienst der Jüdischen Gemeinde die Situation zu erklären. Aber ich bin ja zum Glück in Tschechien und so kommt just in diesem Augenblick ein freundlicher Radfahrer vorbei, sieht unsere vertrackte Situation und fragt sofort, ob wir Hilfe brauchen. JA! Zwei Handgriffe später ist alles vorbei, der Rollstuhl steht unten auf der Straße und meine Pani ist wohlauf. Erleichtert bedanke ich mich und wir setzen unsere Spazierfahrt fort.
Es ist bereits nach halb drei und so treten wir den Rückweg an. Wir überqueren die Straße, der Gehweg auf der anderen Straßenseite ist zum Glück abgeflacht. Aber leider ist es immer noch ziemlich steil. Mit all meiner Power stemme ich mich gegen den Rollstuhl und versuche ihn den gefühlten Hügel hinaufzuschieben. Zweimal, dann gebe ich auf. Ich drehe den Rollstuhl und will eine andere Stelle ansteuern. Da hält ein Auto direkt vor uns an. Ich warte, weil ich nicht weiß, wo das Auto nun hinfahren wird. Ein Mann steigt aus, kommt auf uns zu, nimmt den Rollstuhl und schiebt ihn mit einer Leichtigkeit für mich auf den Gehsteig. Immer noch mit offenem Mund, bedanke ich mich. Der Mann steigt wieder ins Auto und fährt weiter.
Ohne weitere Komplikationen kehren wir zurück ins Altersheim. Zu sehr aromatischen Kaffeeautomaten-Instant-Kaffee verspeisen wir nun unsere Einkäufe. Jetzt können wir uns auch endlich unterhalten, denn ich verstehe Pani M. nur sehr schlecht, wenn sie vor mir im Rollstuhl sitzt. Wenn ich Ausflüge an vorherigen Wochenenden gemacht habe, bringe ich immer meine Digitalkamera mit und zeige ihr, wo ich war und was ich gemacht habe. Sie spricht zwar ein bisschen Deutsch, aber es reicht nicht für Unterhaltungen. Ich wiederum verstehe ihr Tschechisch nur sehr schlecht (mir wurde zum Glück inzwischen bestätigt, dass ich da nicht die einzige bin) und so ist unsere Kommunikation etwas schwierig. Jedoch habe ich das Gefühl, dass sie dank der Fotos meinen Erzählungen folgen kann.
Ich schaue auf die Uhr: es ist bereits drei. Schnell verabschiede ich mich und steuere die Treppe an.
Teresa Nowak - 19. Apr, 17:16