Montag, 2. Mai 2011

Synagogenbesuch und Gartenarbeit:

ASF-Freiwillige pflegten einen jüdischen Friedhof und lernten Neues über das Judentum

Schulklassen durch Gedenkstätten führen, Senioren zu Hause besuchen, in einer sozialen oder kulturellen Einrichtung zur Hand gehen: so sieht Freiwilligenarbeit für uns ASF-Freiwillige normalerweise aus. Wir arbeiten allein und eigenständig in unseren Projekten vor Ort und besuchen uns gegenseitig an den Wochenenden. Das ist auch gut so, denn nur so waren wir in den letzten Monaten gezwungen, uns in unsere neue Umfelder zu integrieren, Tschechisch zu lernen, unsere KollegInnen kennenzulernen und eigene Ideen und Projekte zu entwickeln. Manchmal macht es aber viel mehr Spaß, gemeinsam mit Gleichgesinnten anzupacken und zusammen etwas auf die Beine zu stellen. Daher leisteten wir Tschechien-Freiwillige, wie bereits unsere VorgängerInnen, einen Arbeitseinsatz auf einem jüdischen Friedhof. Wir acht plus unsere Länderbeauftragte Staňa Šimuniová wählten ein Wochenende im April aus, buchten eine Unterkunft, packten alte Kleidung ein und machten uns auf den Weg.

Bevor wir uns so richtig in die Arbeit stürzten, stand aber noch eine interessante Lehrstunde in Sachen jüdischer Religion und Tradition auf dem Programm. Herr Papousek, seines Zeichens Kantor der jüdischen Gemeinde in Olomouc, hieß uns sehr nett willkommen und informierte uns über die Geschichte und Gegenwart seiner Gemeinde ebenso wie über Gebetsrituale, Feiertagsbräuche und kulinarische Besonderheiten. So lernten wir am praktischen Beispiel, wie man Challa, das typische jüdische Sabbatbrot, zubereitet. Ausgestattet mit zwei Kisten ebendieses Brotes und zwei Flaschen koscheren Weins machen wir uns endlich auf den Weg zum Ort unseres Arbeitseinsatzes, nach Loštice.

In Loštice, einer gemütlichen Kleinstadt im Herzen Mährens, gibt es im Gegensatz zu Olomouc keine jüdische Gemeinde mehr. Das war nicht immer so: Jahrhundertelang existierten Juden und Christen in geradezu vorbildlicher Weise neben- und miteinander. Christliche und jüdische Schüler besuchten die gleiche Schule, und auch das Kulturprogramm wurde gemeinsam bestritten, zum Beispiel in einer Amateurtheatergruppe. Mit der Naziokkupation und dem Holocaust nahm diese friedliche Nachbarschaft ein jähes Ende. Heute zeugen vom jüdischen Leben in Loštice nur die Synagoge, die inzwischen frisch renoviert als Museum, pädagogisches Zentrum und Ort des Gedenkens dient.

Und der jüdische Friedhof, auf dem fast 400 Jahre lang die verstorbenen Mitglieder der jüdischen Gemeinde beigesetzt wurden. Unter ihnen auch Fanny Neuda, Verfasserin des ersten jüdischen Gebetsbuches für Frauen. Die Angehörigen der hier Bestatteten sind zum größten Teil in den Konzentrationslagern ums Leben gekommen oder wohnen im weit entfernten Ausland. So ist es inzwischen zur Tradition geworden, dass sich ASF-Freiwillige aus Deutschland, deren Vorfahren schließlich Schuld an diesem Umstand tragen, sich einmal im Jahr um die Erhaltung und Pflege des Geländes kümmern. So auch wir.

Es gab an diesem Wochenende für uns Freiwillige auf dem Friedhof genug zu tun: Reisig musste aufgesammelt und verbrannt, Hecken zurückgeschnitten, überwucherte Grabsteine wieder freigelegt werden. Im milden Frühlingswetter kamen wir ganz schön ins Schwitzen und freuten uns abends umso mehr auf die deftige Mahlzeit, das kühle Bier und das weiche Bett im Hotel. Unser Ansprechpartner vor Ort, Herr Štípl, sorgte dafür, dass alles reibungslos funktionierte, versorgte uns mit dem nötigen Arbeitsmaterial und darüber hinaus mit erstaunlichen Informationen zum Thema „Judentum und Tod“: Wer hätte gedacht, dass das Reinigen und Bekleiden von Toten als verdienstvolle und angesehene Tätigkeit gilt? Dass auf jüdischen Grabsteinen kunstvoll möglichst viele Informationen zum Lebenslauf und Charakter des Verstorbenen untergebracht werden? Oder dass der Sohn des Verstorbenen nach dem Tod des Vaters ein Jahr lang regelmäßig ein bestimmtes Gebet spricht? So lange dauert die Gerichtsverhandlung im Jenseits, die über den Verbleib der Seele entscheiden soll. Als letztes (entscheidendes?) Argument kurz vor dem Urteilsspruch soll der gottesfürchtige Sohn ins Feld geführt werden können, dessen Erziehung dem Vater offensichtlich gelungen ist.

Die Frucht unserer Arbeit konnte sich nach zwei Tagen durchaus sehen lassen: Der jüdische Friedhof erstrahlte in neuem Glanz. Wir nahmen Abschied von Loštice und seinen Bewohnern. Auf dem Heimweg bot sich ein Besuch der historischen Altstadt von Olomouc an, bevor alle wieder in ihre Städte und Projekte zurückkehrten.

von Eva und Teresa

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Zuletzt aktualisiert: 17. Apr, 19:50

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