Sonntag, 19. Juni 2011

Sonne, Salzteig und Spaziergänge

Es ist Montagmorgen um 8 Uhr. Alle Utensilien und Koffer sind gepackt und im Bus verstaut. AssistentInnen und KlientInnen laufen aufgeregt umher. Noch ein letztes Mal auf die Toilette. Dann suchen sich alle einen Platz im Bus. Der Zustand des Busses entspricht allen Klischees eines tschechischen Busses. Alt, klapprig, abgenutzt und ohne funktionierendes Klimatisierungssystem. Doch das stört niemanden. Er wird uns schon zum Ziel bringen. Ungeduldig, nervös und traurig über den bevorstehenden Abschied warten die Eltern der KlientInnen vor dem Bus. Die Eltern verabschieden sich noch ein letztes Mal von ihren Liebsten. Dann fährt der Bus los. Alle winken. Die Szene erinnert mich an die Abreise zum Schullandheim in der 7. Klasse. Vermutlich wird es für Eltern immer schwieriger, sich von ihren Kindern zu verabschieden, je länger sie sich um sie kümmern. Ich verstehe sie nicht, denn eigentlich liegt vor ihnen eine entspannte, ruhige Woche.

Im Gegensatz zu uns Assistenten. Sonst endet die Effeta spätestens um 15 Uhr. Diese Woche wird der Tag enden, wenn die Klientinnen geduscht im Bett liegen. Jeder von uns hat zwei KlientInnen zugeteilt bekommen, für die er in den kommenden Tagen zuständig ist. Unter meiner Obhut sind Jana und Petra*. Ich habe mich über die Auswahl gefreut. Zwar weiß ich, dass Petra anstrengend sein kann, dennoch habe ich die beiden sehr gerne und freue mich auf die Woche.

Leider dauert die Busfahrt über drei Stunden, da wir einmal quer durch Tschechien in den Süden Böhmens fahren. Doch die Fahrt lohnt sich. Unsere Unterkunft liegt auf dem Berg, unten fließt die Moldau. Es ist landschaftlich sehr idyllisch. Wir verstauen den Inhalt der Reisetaschen im Schrank und beziehen die Betten. Dann gibt es Mittagessen. Das erweist sich als sehr entspannt. Wir müssen nur die gefüllten Teller abholen. Natürlich gibt es gute tschechische Hausmannskost, also Fleisch mit Knödeln, Nudeln, Kartoffelbrei oder Reis. Die Frage nach Gemüse erübrigt sich. Nur junge Deutsche haben gelegentlich Appetit auf frisches Gemüse. Alle anderen sind zufrieden.

Das Wetter ist schön. Einige gehen schwimmen in dem Pool auf dem Gelände. Jedoch fürchten sich Jana und Petra vor Wasser und so meiden wir leider, im Gegensatz zu den anderen, in den kommenden Tagen das Schwimmbecken mit dem erfrischend kühlen Wasser. Zum Glück habe ich mich auf die Mädels vorbereitet und Material zum Basteln eingepackt. Aus festem Filz und Salzteig schneiden und formen wir kleine Tiere und Figuren und bemalen sie. Am Ende wollen wir einen schönen Ast suchen, wo wir die Figuren aufhängen können. Das können dann die Mädels mit nach Hause nehmen. Dazu kommt es am Ende jedoch nicht, weil Veronika die Figuren als Halsketten an alle verschenkt. Das ist auch eine nette Idee, ging es mir doch nur darum, die Mädels mit Freude etwas basteln zu lassen.

Die weiteren Tage sind gefüllt mit Ausflügen und kleinen Spaziergängen. Einmal fahren wir zu der Burg „Zvíkov“ und einmal zu dem Schloss „Orlík“. Beide liegen sehr idyllisch direkt am Fluss und sind gut erhalten.Jana ist mit Freude dabei. Nur für Petra und mich erweisen sich die Ausflüge als stressig. Denn Petra hat spontan keine Lust mehr oder fürchtet sich vor Irgendetwas. Wegen Verständigungsproblemen weiß ich bis heute nicht ganz genau, was ihr Problem war. Auf verschiedene Art und Weisen überzeugte ich sie mal mehr, mal weniger erfolgreich, weitere Räumlichkeiten der Burg anzuschauen.

Jedoch ist der eigentliche Stresstest das Duschen am Abend. Wir haben zwei Duschen für acht Klientinnen und nach zwei Stunden kam nur noch kaltes Wasser. Dennoch ist es unmöglich die Mädels sich zum Beeilen zu bewegen. Sie haben ziemliche Angst auf den feuchten Fließen auszurutschen und fürchten sich etwas vor dem Wasser. So verläuft die ganze Prozedur in Zeitlupe. Beide Mädels können nahezu eigenständig duschen. Jedoch redet Petra ununterbrochen anstatt sich einzuseifen. Große Erleichterung macht sich breit, wenn die beiden in ihren Betten liegen und ich das Licht ausmache. Meist setze ich mich danach noch mit meinen KollegInnen zusammen. Dank meiner sprachlichen Fortschritte und der offenen Stimmung erfahre ich in dieser Woche mehr über die AssistentInnen und KlientInnen als in den ganzen letzten acht Monaten.

Am Freitagvormittag endet diese ereignisreiche, lebhafte und gefüllte Woche. Viele KlientInnen sind traurig, dass die fünf Tage schon vorbei sind. Die AssistentInnen sind erleichtert, dass niemand verloren gegangen ist, alle wohlauf sind und freuen sich auf ihr ruhiges Wochenende. Wir packen unsere Sachen. Petra schafft das ganz alleine, weil ihre Mama gesagt hat, dass sie das können muss, wenn sie alleine wegfährt. So bekomme ich nur am Ende die Ehre, beim Reißverschluss verschließen zu helfen. Die restliche Zeit darf ich nur zuschauen und eventuell Tipps geben. Diese Aktion geht natürlich nicht ohne ein Tränenvergießen über die Bühne.

Deshalb bin auch ich sehr froh, als wir endlich im Bus sitzen. Ich bin müde und erschöpft. Habe ich doch mit Petra die letzten Tage alles ausdiskutiert und das mit meinem kleinen tschechischen Wortschatz. Jana hat oft daneben gestanden und still gelacht. Sie hat wohl unser Spielchen durchschaut.

Wir kommen an der Tagesstätte in Brünn an. Die Eltern warten bereits. Freudig nehmen sie ihre Kinder empfang. Schauen, ob es ihren Kleinen gut geht. Bedanken sich bei den Assistenten. Vorüber ist die Stille, die fünf Tage in ihrer Wohnung geherrscht hat.

*Die Namen wurden geändert.

Jan fotografiert gerne und deshalb habe ich einige Fotos von der Woche:
http://www.dropbox.com/gallery/13035227/2/6%20Juni%202011/Freizeit%20Effeta?h=07d395

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