Seminar im Nirgendwo
Auf das Mid-Term-Seminar vom Europäischen Freiwilligendienst habe ich mich immer gefreut. Es lag in weiter Ferne. Wir würden uns Geschichten über unsere ersten, im Nachhinein auch sehr amüsanten Wochen in der Fremde erzählen. Wenn Mid-Term sein würde, dann würde ich schon eine Ewigkeit in Tschechien gewesen sein. Ich war mir sicher, dass ich mich bis zum Mid-Term ein wenig sicher fühle würde im Umgang mit der tschechischen Sprache, meine Nachbarn kennen würde und mich natürlichen entschieden habe würde, was und wo ich studieren möchte. So zumindest dachte ich.
Die Abende, an denen ich nach Hause komme und Eva und ich uns über unsere abenteuerliche Situation des Tages berichten und darüber in unserer heimeligen Wohnung herzlich lachen müssen, gibt es zum Glück immer noch. Uns wäre es sonst doch langweilig.
Von meinen Nachbarn kenne niemanden, außer einer und die klingelt neuerdings gerne Sturm bei uns, weil sie Zigaretten oder Geld von uns möchte. Und das Studienfach? Das hat doch noch Zeit.
In dieser Situation erreicht mich die Einladung zum Mid-Term-Seminar. Fünf Tage Seminar in einem kleinen Dorf in der Nähe von Ústí nad Labem (an der Elbe). Ústí ist eine reizende Industriestadt im Nordwesten Tschechiens nahe der deutschen Grenze. Für mich bedeutet das viereinhalb Stunden Zugfahrt über Prag nach Ústí mitten durch Tschechien. Ich mag die Strecke von Prag nach Ústí, denn sie verläuft entlang der Elbe. Das Ufer ist gesäumt von vielen kleinen „Chatas“, den einfachen Wochenendhäusern. Das „Must-Have“ eines jeden Tschechen. Ich kenne keine tschechische Familie, die keines Besitzt. Im Sommer, wenn die Natur wieder grünt, ist es entlang der Elbe bestimmt sehr idyllisch.
In Ústí nehme ich einen Bus in das nahegelegene Dorf „Sebuzín“. Jedes EVS-Seminar verspricht einen unbekannten Ort, den man davor garantiert noch nicht kennt und wo man auch bestimmt nicht so schnell wieder vorbeikommen wird. Der Bus hält an der Landstraße. Rechts fließt die Elbe, links am Hang liegt eine Ansammlung von Häusern. Zufällig sehe ich Ilaria (aus Italien) und Pauline (aus Frankreich), die gerade mit dem Zug angekommen sind. Pauline hat ihren Lageplan für die Unterkunft zu Hause vergessen. Ilaria hat sich auf sie verlassen. Und ich? Ich habe mir lediglich den Namen des Zentrums aufgeschrieben, war ich mir doch sicher, dass ich andere Freiwillige auf dem Weg dorthin treffen werde. Auf diese Weise lernen wir immerhin die Dorfbewohner kennen. Nur kann sich von ihnen anfangs keiner vorstellen, wo hier ein Haus stehen soll, in dem Platz für eine Gruppe mit 20 Personen ist. Dafür freut sich ein Dorfbewohner über die willkommene Abwechslung. Drei Mädels verschiedener Nationen an einem eigentlich ganz gewöhnlichen Mittwochnachmittag.
Doch schließlich finden wir das gesuchte Haus. Nach dem letzten Seminar hatten ja einige gebangt, dass wir wieder selbst heizen müssen und unser Zimmer mit Mäusen teilen. Aber alle Befürchtungen waren unbegründet. Zum Ausgleich behausen wir diesmal eine wahrhaftige Residenz. Unsere Zimmer sind warm, gemütlich und komfortabel. Wir sind die einzigen Gäste und haben somit das Haus für uns. Von der Herbergsmutter und ihrem Team werden wir in den folgenden Tagen kulinarisch gut umsorgt. Nur leider bestätigt sich wieder die tschechische Regel: „Wer kein Vegetarier ist, isst zu jeder Mahlzeit Fleisch.“ Begleitend zum Abendessen läuft in dem großen Fernseher im Speisesaal ein deutscher Musiksender. Nach einem halben Jahr Fernsehabstinenz sind wir amüsiert und entsetzt zugleich, wie durchweg niveaulos und pornographisch viele Musikclips sind.
Unsere Aufgabe für den ersten Abend: Planen und Ziele setzen für die kommenden Tage. Das Konzept unserer TrainerInnen basiert auf dem Prinzip der Eigeninitiative der TeilnehmerInnen. So sollen am Ende unsere Erwartungen und Bedürfnisse befriedigt werden. Unsere Wünsche für das Seminar sind Austausch, Rückblick auf die letzten Monate, Reflexion, Finden von Lösungen und am Ende ein Ausblick auf die zweite Hälfte unseres Freiwilligendienstes. Reflexion klingt für viele anstrengend, befremdlich und vor allem unnötig. Trotzdem bleibt es am Ende auf der Liste.
Daraus stellen unsere TrainerInnen ein Programm auf die Beine. Wir haben Zeit, uns über unsere Projekte und Entwicklungen seit dem On-Arrival-Seminar, auszutauschen. Ich zum Beispiel kenne dieses Mal im Vergleich zum ersten Seminar immerhin mein Projekt. In Kleingruppen tauschen wir uns je nach Projektbereich aus. Für mich persönlich war dieser Part am Hilfreichsten. Ich weiß nun eine Freiwillige, die in einer sehr ähnlichen Einrichtung arbeitet und die gleichen Fragen und Probleme hat wie ich. Sie kann mir in den kommenden Monaten eine gute Ansprechpartnerin sein, in Bezug auf Probleme oder neuen Ideen. Durch dieses Seminar entstehen am Ende auch viele Projekte, in die mehrere Freiwillige involviert sind. Einige starten noch während des Seminars ein Videoprojekt, eine Freiwillige beginnt ein Fotoprojekt über Freiwillige bei der Arbeit und zu Hause.
Der Part mit der Selbstreflektion findet in Form von Fragen statt, die jeder für sich selbst beantworten darf und eine Trainerin bietet einen inspirierenden Workshop zum Thema Motivation und Demotivation an. Einen Nachmittag machen wir einen kleinen Ausflug und fahren zurück in die Zivilisation, in die Stadt „Litomĕřice“. Am folgenden Tag entlassen uns die Teamerinnen für eine spontane Wanderung zu einer nahegelegenen Burgruine. Für mich halten die Seminartage am Ende eine gute Balance zwischen Programm, Freizeit und Schlaf. Das erste Seminar war durch das eigenständige Kochen und Beheizen der Zimmer deutlich stressiger. Dennoch sind wir TeilnehmerInnen uns einig, dass das Kochen damals viel Spaß gemacht hat und gruppendynamisch optimal war. Hier auf unserem zweiten Seminar in „Sebuzín“ sind wir vom ersten Moment an eine Gruppe, die viel gemeinsam organisiert und niemanden ausgrenzt.
Rückblickend lässt sich sagen, dass das Seminar vor allem von dem Austausch der TeilnehmerInnen untereinander gelebt hat, von der neuen Energie und Motivation jedes Einzelnen, die zweite Hälfte gut zu nutzen. In diesem Dorf bei Ústí waren wir weit weg von unserem Projekt, draußen aus unserem Alltag und unserer Routine. Jeder hatte Zeit, Pläne zu schmieden und fragte den anderen nach seinen Ideen. Deshalb ist die Stimmung am Sonntagmorgen als wir aufbrechen, nicht traurig, weil es unser letztes gemeinsames Seminar ist, sondern euphorisch. Wir wissen, dass wir uns in diesem kleinen Land bei irgendeinem Projekt wieder treffen werden.
Die Abende, an denen ich nach Hause komme und Eva und ich uns über unsere abenteuerliche Situation des Tages berichten und darüber in unserer heimeligen Wohnung herzlich lachen müssen, gibt es zum Glück immer noch. Uns wäre es sonst doch langweilig.
Von meinen Nachbarn kenne niemanden, außer einer und die klingelt neuerdings gerne Sturm bei uns, weil sie Zigaretten oder Geld von uns möchte. Und das Studienfach? Das hat doch noch Zeit.
In dieser Situation erreicht mich die Einladung zum Mid-Term-Seminar. Fünf Tage Seminar in einem kleinen Dorf in der Nähe von Ústí nad Labem (an der Elbe). Ústí ist eine reizende Industriestadt im Nordwesten Tschechiens nahe der deutschen Grenze. Für mich bedeutet das viereinhalb Stunden Zugfahrt über Prag nach Ústí mitten durch Tschechien. Ich mag die Strecke von Prag nach Ústí, denn sie verläuft entlang der Elbe. Das Ufer ist gesäumt von vielen kleinen „Chatas“, den einfachen Wochenendhäusern. Das „Must-Have“ eines jeden Tschechen. Ich kenne keine tschechische Familie, die keines Besitzt. Im Sommer, wenn die Natur wieder grünt, ist es entlang der Elbe bestimmt sehr idyllisch.
In Ústí nehme ich einen Bus in das nahegelegene Dorf „Sebuzín“. Jedes EVS-Seminar verspricht einen unbekannten Ort, den man davor garantiert noch nicht kennt und wo man auch bestimmt nicht so schnell wieder vorbeikommen wird. Der Bus hält an der Landstraße. Rechts fließt die Elbe, links am Hang liegt eine Ansammlung von Häusern. Zufällig sehe ich Ilaria (aus Italien) und Pauline (aus Frankreich), die gerade mit dem Zug angekommen sind. Pauline hat ihren Lageplan für die Unterkunft zu Hause vergessen. Ilaria hat sich auf sie verlassen. Und ich? Ich habe mir lediglich den Namen des Zentrums aufgeschrieben, war ich mir doch sicher, dass ich andere Freiwillige auf dem Weg dorthin treffen werde. Auf diese Weise lernen wir immerhin die Dorfbewohner kennen. Nur kann sich von ihnen anfangs keiner vorstellen, wo hier ein Haus stehen soll, in dem Platz für eine Gruppe mit 20 Personen ist. Dafür freut sich ein Dorfbewohner über die willkommene Abwechslung. Drei Mädels verschiedener Nationen an einem eigentlich ganz gewöhnlichen Mittwochnachmittag.
Doch schließlich finden wir das gesuchte Haus. Nach dem letzten Seminar hatten ja einige gebangt, dass wir wieder selbst heizen müssen und unser Zimmer mit Mäusen teilen. Aber alle Befürchtungen waren unbegründet. Zum Ausgleich behausen wir diesmal eine wahrhaftige Residenz. Unsere Zimmer sind warm, gemütlich und komfortabel. Wir sind die einzigen Gäste und haben somit das Haus für uns. Von der Herbergsmutter und ihrem Team werden wir in den folgenden Tagen kulinarisch gut umsorgt. Nur leider bestätigt sich wieder die tschechische Regel: „Wer kein Vegetarier ist, isst zu jeder Mahlzeit Fleisch.“ Begleitend zum Abendessen läuft in dem großen Fernseher im Speisesaal ein deutscher Musiksender. Nach einem halben Jahr Fernsehabstinenz sind wir amüsiert und entsetzt zugleich, wie durchweg niveaulos und pornographisch viele Musikclips sind.
Unsere Aufgabe für den ersten Abend: Planen und Ziele setzen für die kommenden Tage. Das Konzept unserer TrainerInnen basiert auf dem Prinzip der Eigeninitiative der TeilnehmerInnen. So sollen am Ende unsere Erwartungen und Bedürfnisse befriedigt werden. Unsere Wünsche für das Seminar sind Austausch, Rückblick auf die letzten Monate, Reflexion, Finden von Lösungen und am Ende ein Ausblick auf die zweite Hälfte unseres Freiwilligendienstes. Reflexion klingt für viele anstrengend, befremdlich und vor allem unnötig. Trotzdem bleibt es am Ende auf der Liste.
Daraus stellen unsere TrainerInnen ein Programm auf die Beine. Wir haben Zeit, uns über unsere Projekte und Entwicklungen seit dem On-Arrival-Seminar, auszutauschen. Ich zum Beispiel kenne dieses Mal im Vergleich zum ersten Seminar immerhin mein Projekt. In Kleingruppen tauschen wir uns je nach Projektbereich aus. Für mich persönlich war dieser Part am Hilfreichsten. Ich weiß nun eine Freiwillige, die in einer sehr ähnlichen Einrichtung arbeitet und die gleichen Fragen und Probleme hat wie ich. Sie kann mir in den kommenden Monaten eine gute Ansprechpartnerin sein, in Bezug auf Probleme oder neuen Ideen. Durch dieses Seminar entstehen am Ende auch viele Projekte, in die mehrere Freiwillige involviert sind. Einige starten noch während des Seminars ein Videoprojekt, eine Freiwillige beginnt ein Fotoprojekt über Freiwillige bei der Arbeit und zu Hause.
Der Part mit der Selbstreflektion findet in Form von Fragen statt, die jeder für sich selbst beantworten darf und eine Trainerin bietet einen inspirierenden Workshop zum Thema Motivation und Demotivation an. Einen Nachmittag machen wir einen kleinen Ausflug und fahren zurück in die Zivilisation, in die Stadt „Litomĕřice“. Am folgenden Tag entlassen uns die Teamerinnen für eine spontane Wanderung zu einer nahegelegenen Burgruine. Für mich halten die Seminartage am Ende eine gute Balance zwischen Programm, Freizeit und Schlaf. Das erste Seminar war durch das eigenständige Kochen und Beheizen der Zimmer deutlich stressiger. Dennoch sind wir TeilnehmerInnen uns einig, dass das Kochen damals viel Spaß gemacht hat und gruppendynamisch optimal war. Hier auf unserem zweiten Seminar in „Sebuzín“ sind wir vom ersten Moment an eine Gruppe, die viel gemeinsam organisiert und niemanden ausgrenzt.
Rückblickend lässt sich sagen, dass das Seminar vor allem von dem Austausch der TeilnehmerInnen untereinander gelebt hat, von der neuen Energie und Motivation jedes Einzelnen, die zweite Hälfte gut zu nutzen. In diesem Dorf bei Ústí waren wir weit weg von unserem Projekt, draußen aus unserem Alltag und unserer Routine. Jeder hatte Zeit, Pläne zu schmieden und fragte den anderen nach seinen Ideen. Deshalb ist die Stimmung am Sonntagmorgen als wir aufbrechen, nicht traurig, weil es unser letztes gemeinsames Seminar ist, sondern euphorisch. Wir wissen, dass wir uns in diesem kleinen Land bei irgendeinem Projekt wieder treffen werden.
Teresa Nowak - 12. Feb, 16:49